Es geht bergauf mit dem Nordic Team Tirol. Seit unserem letzten Wochenende in Galtür gibt es überall genug Schnee zum Trainieren und die letzten zwei Monate vor dem großen Finale beim Koasalauf lassen die Trainingsmotivation steigen. Es wird schön langsam alles real. Sogar ein wenig zu real, wenn ihr mich fragt. Damit wird beim Koasalauf wissen, was auf uns zukommt, sollen wir im Tannheimer Tal schon die erste Wettkampf-Erfahrung sammeln: Im Rahmen des Ski-Trail Tannheimer Tal gilt es für uns die 36 Kilometer im Skating-Bewerb zu meistern.
Los geht es am Freitag Nachmittag in Tannheim mit einer Team-Besprechung. Dass leichte Nervosität in der Luft liegt, ist ein Understatement. Jeder weiß ganz genau, was am Sonntag auf uns zukommt. Obwohl wir im Endeffekt eben nicht wissen, was auf uns zukommt. Denn auch wenn manche von uns bereits den ein oder anderen (Halb-)Marathon oder Triathlon gelaufen sind, hat noch niemand Erfahrungen mit Volks-Langläufen. Um uns diese Unsicherheiten zu nehmen, gehen wir den Ablauf eines solchen Rennens gemeinsam durch.
Nach dem Trockentraining bei Kaffee und Kuchen geht es raus zum Start und Zielbereich des Wettkampf-Geländes. Dort starten wir mit den bereits bekannten Aufwärmübungen: Seitlich im Kreis laufen, balancieren, Gleichgewicht finden, beim Springen um die eigene Achse drehen. Man merkt mittlerweile deutlich, dass wir das schon ein paar Mal gemacht haben. Jede Übung geht viel flüssiger und besser als in Galtür. Danach bekommen wir Unterstützung vom Bundestrainer des deutschen Nationalteams: Peter Schlickenrieder. Der zeigt uns ein paar andere Übungen, wie wir die verschiedenen Techniken im Skating noch besser umsetzen können.
Neben uns hat mittlerweile der Technik-Parcours gestartet – eine Nebenveranstaltung des Ski Trails, bei der jeder seine Fähigkeiten bei einem Hindernis-Parcours auf die Probe stellen kann: Geschwindigkeit, Geschicklichkeit und eine große Portion „mir is ois wurscht, ich mag gewinnen“ gehören dazu. Natürlich stellen auch wir uns dieser Herausforderung.
Tag zwei beginnt dann deutlich entspannter. Nach einem gemütlichen Frühstück gibt es nur am Vormittag eine ganz kurze Trainingseinheit – immerhin sollen wir am nächsten Tag beim Wettkampf nicht müde vom vielen Training sein. Übertrainiert nennt man das. Nach dem Frühstück schauen wir zum Startbereich des Ski Trails. Dort starten heute nämlich die Läufer des klassischen Bewerbs, dessen Start wir uns anschauen.
„Beim Start könnt ihr das Rennen nicht gewinnen, höchstens verlieren“ sagt unser Trainer Raphi. Wer sich bei den ersten Metern Doppelstockschieben zu sehr verausgabt, dem fehlt später die Kraft. Also lieber langsam angehen und später Gas geben. Genau das üben wir später auf in der Loipe. Wir simulieren zuerst einen Wettkampf-Start und dann einen kurzen Sprint, um ein Gefühl für den Ablauf am Beginn des Rennens zu bekommen.
Am Nachmittag holen wir uns die Startnummern im Rennbüro ab. Denn auch das gehört zu einem Wettkampf dazu. Ich kannte das Prozedere bisher nur von großen Laufveranstaltungen und war überrascht, wie viel entspannter das im Tannheimer Tal abläuft. Bis wir alle unsere Startnummern inklusive reichlich gefüllten Goodie-Bags beisammen haben, hat jeder genug Zeit, über seine eigenen Ansprüche zu reflektieren: Ich bin jedenfalls gut motiviert und will alles rausholen. Im Hinterkopf aber die Unsicherheit, weil ich im Training noch nie weiter als 15 Kilometer gelaufen bin. Ich kann also eigentlich gar nicht wissen, wie es mir auf 36 Kilometern gehen wird. Dass die Ausdauer irgendwann aus ist, denke ich mir weniger. Größere Bedenken habe ich, dass mir irgendwann zum Beispiel die Schuhe drücken und weh tun oder die Muskeln nicht mehr so mitspielen, wie ich das will. Aber ich versuche mir immer wieder einzureden, dass es schon gut gehen wird.
Je weiter wir uns dem Wettkampftag nähern, desto mehr rückt dieser auch bei den Gesprächen in den Mittelpunkt. Dementsprechend könnt ihr euch das letzte Abendessen am Samstag vorstellen. Bei einer großen Portion Kaiserschmarrn im Hotel Jungbrunn (Stichwort: Carbs) gehen wir gemeinsam ein weiteres Mal den Ablauf am Sonntag durch: Startposition, richtige Verpflegung, Kraftmanagement, Strategie.
Alles Dinge, die uns noch dutzende Male in der Nacht durch den Kopf gehen werden. Denn so richtig (gut) geschlafen hat niemand. „Das ist normal“, versucht uns unser Coach Urban am Frühstückstisch zu beruhigen, „solang ihr die Nächte vorher einen erholsamen Schlaf hattet, macht das nichts.“ Für mich gibt es klassisches Wettkampf-Frühstück: Semmeln mit Honig und zwei Tassen Tee. Und dann geht es Schlag auf Schlag: Rennanzug anziehen, die wichtigsten Sachen zusammenpacken und raus zum Startbereich.
Ein großer, bedrohlich wirkender, roter Countdown zählt die verbleibende Zeit bis zum Start runter. Viel schneller als gedacht, wird es real und ich stehe auf meiner Position auf der Startspur. Und dann zählt der Sprecher auch schon die verbleibenden 10 Sekunden herunter und es geht los. Wie besprochen, zuerst 50 Meter im Doppelstock. Dann hört die klassische Loipenspur auf und jeder wechselt in die Skating-Technik. Bis sich das Feld dann ein wenig lichtet, ist es äußerst hektisch.
So richtig kann ich auf das hektische Treiben nichtmal achten. Ich bin nämlich voll und ganz mit mir selbst und dem Material beschäftigt. Der schnelle Schnee (es ist deutlich wärmer als zuletzt) und das darauf abgestimmte Flüssigwachs machen mir die Ski irgendwie zu schnell. Es dauert sicher einen Kilometer, bis ich wirklich in meinen Rhythmus komme – aber dann läuft es. Bis zu dem heimtückischen Stück im Wald jedenfalls. Anders als vorher wird es hier von einer Sekunde auf die andere eisig und sehr unangenehm. Bei einer kurzen Abfahrt verliere ich das Gleichgewicht und stürze. „Geht scho“ höre ich von Laura, die an mir vorbeizieht. Ich versuche so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen. Ab da laufen Laura und ich ein Stück in Sichtweite. Dann kommt die nächste Abfahrt und hier erwischt es Laura neben der Loipe im Tiefschnee. Aber auch sie ist schnell wieder auf den Skiern.
Die Strecke geht jetzt durch Tannheim durch zum Haldensee. Ich rufe mir die Ratschläge der Trainer in Erinnerung und versuche eine Gruppe zu finden, an die ich mich dranhängen kann. Gerade bei dem Gegenwind über den gefrorenen Haldensee eine gute Taktik, um Kraft zu sparen. Nach Nässelwängle ist die Hälfte geschafft. Zum ersten Mal denke ich mir, dass alles gut gehen wird. Ich habe noch genügend Kraftreserven, das Material passt und nichts drückt. Was vorher der Gegenwind war, wird jetzt zum Rückenwind und macht den Weg zurück über den Haldensee zum Kinderspiel. Im Hintergrund sehe ich schon den Kirchturm von Tannheim und denke mir, jetzt hast du es bald geschafft.
„Nur noch 6 km“ lese ich auf einem Schild neben der Strecke. Das Stück kenne ich schon vom Training und der Besichtigung am Vortag. Beim letzten langgezogenen Anstieg heißt es noch einmal richtig reinzubeißen und die verbleibenden Kräfte zu mobilisieren. Ab dort höre ich schon die Lautsprecher des Zielbereichs. Eine kurze Abfahrt später ist dieser auch schon in Sichtweite. Neben der Strecke höre ich Stevie schreien „Auf geht’s … geht scho!“. Meike, Marlene und Kaddi, die sich für die kürzere Distanz entschieden haben, stehen ebenfalls am Streckenrand und feuern mich so richtig an. Top motiviert, aber sichtlich geschafft vom letzten Anstieg, ziehe ich noch die letzte Schleife im Zielbereich und laufe ins Ziel.
Kurz nach mir kommt auch Laura an. Wir fallen uns alle in die Arme und sind einfach happy. Tiefenglücklich. Gemeinsam warten wir noch auf Christian und Alex und feuern diese beim Zieleinlauf so richtig an. Wie sich das für ein gutes Team eben gehört. Es gibt Umarmungen, jeder ist stolz. Auf sich, auf die anderen. Darauf, dass wir unsere Wettkampf-Premiere so gut gemeistert haben. Aber nicht nur wir, auch unsere Trainer können ihre Freude nicht verstecken. Das Wochenende im Tannheimer Tal war ein voller Erfolg.
Unser erster Wettkampf ist überstanden und ich glaube jeder geht mit einem guten Gefühl zum #NordicTeamTirol-Finale beim Koasalauf. 50 Kilometer werden zwar nochmal eine größere Herausforderung, aber die positiven Erfahrungen überflügeln zum ersten Mal unsere Skepsis und zumindest ich bin nun guter Dinge, dass das klappen kann.